Männer können nicht zuhören?
HA!
Nicht Frauenversteher, kein gefühlsduseliges Baden im Schmerz, sondern- wie könnte das aussehen- das spezifisch- „männliche Zuhören“?
Nicht nur Momo1 konnte zuhören, aufmerksam, mit ganzer Anteilnahme und tief schweigend, sondern männliche Präsenz beinhaltet genau diese Fähigkeit auch. Aber sie geht weiter: Mit rasiermesserscharfem Verstand bin ich bei dem, der gerade zu mir spricht. Weniger lauernd auf die Gelegenheit, um endlich meine Geschichte an den Mann zu bringen oder gar den Haken, eine Schwäche, mit der ich den Kampf eröffnen könnte. Sondern zum Bersten gespannt auf das Gefühl, mit dem der andere spricht, um nicht nur zu hören, was er sagt, sondern viel wichtiger ist mir, wie er spricht, damit ich das darunter liegende Motiv begreife. Der erste Halbsatz, die Art, wie er gesprochen wird, aus dem Unbewussten heraus, zeigt mir da oft viel. Die gestärkte Neugier bringt es mit sich, dass der erste Satzteil nicht nur verwendet wird, um, wie beim Narzissten, das Stichwort zur Selbstdarstellung zu geben, sondern im Gegenteil, mir Aufschluss gibt über die Befindlichkeit des Gegenüber. Zuhören, das geschieht auch mit den Augen, der achtsame Blick auf Mimik, Gestik, Körpersprache. Ist die Art und Weise des Sprechens und die Aussage einander ent- oder widersprechend? Der Körper lügt nicht. Ich schaue der Mimik und dem Körper beim Sprechenden zu, sehe die harmonisch- zum Gesprochenen- oder widersprüchliche Körpersprache. Ich höre zu Ende zu, lasse ganz ausreden, halte eine oder gar mehrere Sekunden des Schweigens aus, um den Bogen zu spannen zum vorher Gesagten. Darin suche ich Harmonie oder Widersprüche. Mehr noch als das Gesagte interessiert mich die Verbindung zum Kontext des Sprechenden, wie passt das zu Herkunft, Beruf, Familiensituation, und frage nach, wenn mir etwas unklar ist. Und wenn ich dann den Kontext in Bezug setze zum früher Gesagten und formuliere, was stimmig ist und was nicht, dann kann der Sprechende das Gefühl bekommen, ich bin „bei ihm“. So kann sich mein Gegenüber entfalten, wir gewinnen Klarheit – mehr über uns als Personen als über die Sache. Die ist eh – meist nebensächlich. Viel wichtiger als das Einverständnis, das d´accord in der Sache, empfinde ich die Qualität des Gesprächs als beziehungs-stiftend und -fördernd. Ich trete durch diese Art der Gesprächsführung durch vertiefende Fragen in eine aktive Beziehung zum Sprechenden. Das ist das Gegenteil von Small Talk, dem stupiden Austausch von Belanglosigkeiten. Entweder ein Gespräch ist persönlich, oder es ist nicht sehr relevant. Joh. Freiherr von Knigge lehrte, sich eine besondere Offenheit zu bewahren – für jedwede Art von Gesellschaft: „Übrigens aber rate ich auch an, um sein selbst und andrer willen, ja nicht zu glauben, es sei irgend eine Gesellschaft so ganz schlecht, das Gespräch irgend eines Mannes so ganz unbedeutend, dass man nicht daraus etwas lernen, eine neue Erfahrung, einen Stoff zum Nachdenken sammeln könnte“2.
Aktiv zuhören kann auch bedeuten: Schweigen.
Aber das ist nicht das geistig abwesende Schweigen, sondern im Gegenteil: Wie die alten Indianer lässt der aufmerksame Zuhörer die Worte in sich sacken, bis ins Herz hinein. Die Kunst besteht darin, außer der besonderen Intensität der Wahrnehmung eine besondere Intensität der Hingabe an die konkrete Situation, an das Gegenüber zu praktizieren. Gemeinsam lässt sich das praktizieren, indem man konkret ankündigt: „Das berührt mich, darüber muss ich mal nachdenken, …“
Was gilt es, im Zuhören „hinzugeben“?
„Die wichtigste Stunde ist immer die Gegenwart, der bedeutendste Mensch immer der, der dir gerade gegenübersteht, und das notwendigste Werk ist immer die Liebe.“ Meister Eckhart.
Es gilt, meinem Gesprächspartner genau DAS zu zeigen: Es ist diese besonders intensive Aufmerksamkeit: Ich höre nicht nur mit gespitzten Ohren, die Töne, die Zwischentöne, die feste oder brüchige Stimme, WIE etwas gesprochen wird. Ich höre mit aufgerissenen Augen, sehe Körpersprache und Mimik. Und vielleicht rieche ich sogar, denn Pferde riechen menschlichen Angstschweiß, warum der Mensch nicht auch- subliminal, unter der Wahrnehmungsschwelle?
Wenn ich dermaßen intensiv zuhöre, dann berührt mich das Gesagte vielleicht sogar körperlich- es schnürt mir bei der Beschreibung vielleicht die Kehle zu, ich bekomme Magenschmerzen oder Gänsehaut, bei dem, was mir mein Gegenüber da erzählt. Und das spreche ich dann aus.
Nicht nur in Form der Aufmerksamkeit, und ganz bewusst zu nehmen, was er gibt und erzählt, wahrzunehmen und was ihn dabei bewegt: „Ah, und was fühlst du – jetzt, damals, dabei?!“, sondern das auch wiederzugeben. Ich muss dazu in MIR ein Gefühl für das Gesprochene meines Gegenübers entwickeln, und das hat wiederum zwei Aspekte:
– Wie würde ICH mich in dieser Situation gefühlt haben? Oder wie fühle ich mich jetzt – damit?
– Wie mag ER/SIE sich in der Situation gefühlt haben, z. B., wenn ich daran denke, was er mir zuvor erzählt hat. Und ihm das zu spiegeln, auszudrücken.
Indem ich mich in meiner Antwort auf diesen, seinen Kontext „beziehe“, entsteht „Beziehung“. Und Nähe. Frauen brauchen so etwas. Und gute Männer wissen das zu schätzen.
Kommunikation kann natürlich auch ganz anders ablaufen. Zum Beispiel erlebe ich oft, dass abseits aller Besonnenheit, Einfühlungsvermögen und Kontextbezug die Gesprächsfetzen fliegen. Das ist bei sehr spontanen Menschen der Fall, denen die Gedanken wie aus dem Gesicht fallen, wo ein Wort das andere ergibt. Hier ist das Gespräch, der Inhalt, wichtiger als der Mensch, der spricht. Auch solche Gespräche haben ihren Reiz, sind relevant, natürlich, und auch diese fordern maximale Präsenz. Beide Gesprächspartner zeigen Lebendigkeit, oft auch Brillanz. Gute Talkshows laufen so ab. Es geht um „die Sache“.