Mütter, Söhne, Männer

Gerhard Amendt:

„Wie Mütter sich ihre Söhne wünschen“
4.12.2023

Man kommt als Mann zur Welt, aber man wird auch dazu gemacht. Besonders von der Mutter.
1994 veröffentlichte das amerikanische Magazin TIME eine viel beachtete Geschichte. Rechts auf dem Titelblatt war zu lesen: ARE MEN REALLY THAT BAD? Links auf dem Cover war ein Mann im eleganten Anzug zu sehen. Das weiße Hemd gebügelt, die Hand mit Ehering und den Arm mit Manschetten bestückt. Die Krawatte modisch. Es war kein Mann aus der Unterschicht, eher aus der Mittelklasse. Und nun sein Gesicht! Eine überdimensionierte Nase mit aufgeblähten Nasenlöchern, die Backen hängend und fetthaltig aufgetrieben, die Augen verkniffen, nichts Freundliches verheißend. Die Ohren überdimensioniert zum Lauschen aufgestellt. Das Maul leicht beschmutzt. Ich mache es kurz: Ein Schweinskopf ragte aus dem Anzug heraus.
Das Titelbild hat viele Männer entsetzt1: Männer – eine Klasse von Schweinen? Nicht einmal ein Jahr zuvor hatte eine Frau ihrem schlafenden Ehemann aus Zorn über vorenthaltene Orgasmen den Penis mit einem Küchenmesser abgetrennt und weggeworfen. Der wurde gefunden und wieder „angenäht“. Nicht wenige haben gerätselt, ob TIME „schweinische“ Männer vor der Strafe der genitalen Verstümmelung warnen oder ob sie den Begeisterungssturm tonangebender Feministen als Kastration anprangern wollte. Denn nicht alle Bataillone des Feminismus waren davon begeistert. Einige Wortgewaltige priesen jedoch die Verstümmelungsorgie jener Ehefrau. Eine deutsche Feministin gab sich sichtbar darüber erleichtert, dass Frauen endlich die vielseitige
1 https://content.time.com/time/covers/0,16641,19940214,00.html

Verwendung von Messern erkannt hätten: Petersilie hacken, ja, aber auch unliebsame Männer verstümmeln!
Die Redaktion der TIME gab sich noch der Hoffnung hin, mäßigend in die heraufziehende Polarisierung der Geschlechterbeziehungen eingreifen und den zerstörerischen Ärger über „unvollständige Männer“ unterbinden zu können. Das war eine Fehleinschätzung. Alles wurde nur noch schlimmer. Die vergangenen Jahrzehnte haben das Männerbild verzerrt, wie es kaum sich jemand vorstellen wollte. Über all dem liegt heute bleiernes Schweigen bis tief in die Gesellschaft hinein. Über Geschlechterbeziehungen spricht man nicht, es sei denn, man spräche von Frauen als Opfern und Männern als Tätern. Und das von Kanzeln, Kirchen, Parlamenten, Parteien und Universitätsseminaren. Ausnahmen sind schwer zu finden.
Das birgt die Gefahr in sich, dass wir in eine Gesellschaft von Feindseligkeiten zerfallen, die die Kultur der Konfliktlösung untergehen lässt. Weil gravierende Konflikte nicht thematisiert und folglich nicht mehr gelöst werden, kommt das einer Gesellschaft gleich, die von den Gefahren für die Demokratie nichts wissen will und sehenden Auges in Totalitäres abgleitet.
Von der Wertschätzung der Konfliktorientierung in Erziehung und Pädagogik, wie sie in den 60 und 70 Jahren von einigen Universitäten und Fachhochschulen ausging, ist kaum etwas geblieben.
Stattdessen machte sich dort zumeist Verleugnung breit, die sich der Verleumdung anstelle des Gesprächs bedient. Angst herrscht vor. Und die Tendenz bestimmt immer mehr die Haltung auch von Wissenschaftlern in so ziemlich allen Disziplinen. Angetrieben wird diese Entwicklung von einer Atmosphäre der Zensur und Repression, die die Suche nach Wahrheit, der Kern der Wissenschaften, zum existentiellen Risiko macht.

Der Biologie folgt die kulturelle Formung
Hier soll der Frage nachgegangen werden, was es sein könnte, was seit Jahrzehnten gerade Männern die Sprache über die kollektive Abwertung durch Feminismus und Genderpolitik verschlägt.
Ich will – unter den vielen Erklärungsmöglichkeiten – der Vermutung nachgehen, dass das Schweigen der Söhne vor allem mit Besonderheiten ihrer Beziehung zur Mutter während der frühen Lebensjahre zusammenhängen könnte. Dieser Zusammenhang ist von solch herausragender Bedeutung, dass in Politik und Medien mit steter Anstrengung versucht wird, dass er das Licht der Öffentlichkeit nicht erblicken kann. Die Frage ist so brisant, dass auch die Forschung ihr geflissentlich aus dem Wege geht. So wird der Einfluss der Mutter auf die Entwicklung ihrer Söhne wie ein Naturphänomen behandelt, so als seien kulturelle Einflüsse ebenso wie der familiäre Hintergrund und die Beziehung zu der Mutter unerheblich für die Ausprägung von Männlichkeit. Und im Familienleben trifft genau das Gegenteil zu. Schon die Vermutung, dass dieses Verhältnis sich in Beziehungen erwachsener Männer zu Frauen später wiederholen könnte, entzieht sich der Neugierde der meisten Wissenschaftler. Weil viele Forscher das prekäre Ungewisse der Sohn-Mutterbeziehung, aus dem auch ihre eigene Männlichkeit hervorgegangen ist, fürchten, wird sie im Dunkeln gehalten. Nicht alle Männer haben sich mit der Kultur der Entwertung abgefunden. Einige machten geltend, dass auch ihr Leben damals wie heute nicht leicht ist. Sie fordern gleiches Recht auf Anerkennung als Leidende. Feministen und Genderideologen witterten darin den Versuch, sich der Vorteile der Mitleidskultur zu bemächtigen, die weiblichen Opfern geboten wird: Verzicht auf eigene Aktivität und Mitleid als Tröstung.

Der Versuch hingegen, die Welt der Geschlechterbeziehungen jenseits von Opfer und Täter zu verstehen und eine differenzierte Sicht auf deren alltägliche Dynamik zu gewinnen, will ich am Beispiel des 1986 Aufruhr stiftenden Buches „Muttersöhne“ von Volker Pilgrim skizzieren.
Er hat versucht, eine Antwort auf die heiß umkämpfte Frage zu finden, warum „Männer so sind, wie sie sind“. Wie kommt es dazu, dass feministische Aktivisten fast widerstandslos – in ihrer einzigen Leiden- schaft – jeden individuellen Mann einem ominösen Kollektiv von Gewalt- tätigen und Frauenfeinden zurechnen konnten? Angefangen beim Krieg bis hin zu häuslichen Handgreiflichkeiten! Dass sie verantwortungsvolle Ehepartner und Väter sind, schien der Erwähnung nicht wert, ebenso wenig, dass sie in Kriege ziehen, um Familie und Heimat zu verteidigen. Ohne gefragt zu werden, ob sie das wollen oder nicht.
Pilgrims Kernfrage kam einem Paukenschlag gleich: Welche Rolle spielen die Mütter im Leben ihrer Söhne, dass „zerstörerische Männlichkeit a la Roosevelt, Stalin und Hitler“ dabei herauskommt? Wohlgemerkt, er hat damit die feministische Generalthese von der Gewalttätigkeit übernommen, um zur Suche nach Ursachen vorzudringen.
Seine kühnen Mutmaßungen über machtvolle Mütterlichkeit eröffneten damit das weite Feld von intimen Biografien von Müttern und Söhnen. Viele rätseln darüber, warum Männer zur Verantwortung für Fehlentwicklungen schweigen, die ihnen menschheitsgeschichtlich zugefallen ist. Dabei geht es erstaunlicherweise nicht darum, dass Männer die „patriarchalische Kollektivschuld“, die ihnen von feministischer Seite als erster Schritt zur Besserung angeboten wird, sich nicht zu eigen machen. Vielmehr geht es darum, dass viele Männer selbst glauben, kein guter Mann und Vater zu sein, dass sie glauben, versagt zu haben. Eben weil sie meinen, die in ihrer Kindheit erlernten Pflichten gegenüber der Mutter in ihren Beziehungen zu Freundinnen und Ehefrauen nicht

fortgeführt zu haben. Andere Männer hingegen berühren diese Vorwürfe nicht. Ihr Motto ist dann schon eher: so lange Frauen uns nur mit Vorwürfen überhäufen, so lange haben sie die Hoffnung nicht aufgegeben, dass wir uns doch noch bessern und irgendwann dann doch noch ihren Erwartungen entsprechen werden. Sie sehen ihre Rolle in der Partner- schaft vielmehr anerkannt und belassen es dabei. Ihr Selbstbild vom „Wunscherfüller“ und Breadwinner geriet unter dem Sturm der Entwertung nicht ins Wanken. Sie sehen es vielmehr nachdrücklich bestätigt. Sie sehen sich als „Provider“ mit Besserungspotential.
Das ewige Bemüht sein um Frauen
Es lässt sich nicht von der Hand weisen, dass Männer von Selbstzweifeln und unergründlichen Schuldgefühlen zumindest in der Gegenwart heimgesucht werden und um Wiedergutmachung sich bemühen. Es handelt sich hier um einen Teil unserer Kultur der Geschlechterbeziehungen, wie er Tag für Tag und Jahr für Jahr als Selbstverständlichkeiten praktiziert wird. Ich denke dabei an die steten Bemühungen, es Frauen recht zu machen, die die meisten Männer ein Leben lang beherrschen. Es ist ein tragendes Element männlicher Identität, das auf evolutionsbiologische Wurzeln hinweist, die lediglich in zeitgenössischer Ausprägung erscheinen. Wie ließe sich sonst verstehen, dass Männer seit Menschengedenken die schweren und gefährlichen Arbeiten übernehmen, in gerechte wie ungerechte Kriege ziehen, in Bergwerke einfahren, ihre Kinder kaum sehen und nicht einmal in unseren Zeiten permanenter Gleichheits- und Antidiskriminierungsrhetorik auf den Gedanken kämen, Frauen zumindest Ähnliches abzuverlangen oder zumindest Anerkennung zu erwarten?

Das „bemüht sein um Frauen“, Zuvorkommenheit und rücksichtsvolle Höflichkeit kann man schon früh im Leben von Jungen beobachten. Es wird ausgeprägter sichtbar gegenüber Mitschülerinnen, noch mehr dann bei Freundinnen, der Ehefrau und im Berufsalltag. So trug ein Abiturient vor mehr als zwanzig Jahren in einem Gespräch vor, dass Mädchen von Lehrern – Männern wie Frauen – bevorzugt würden. Die Selbstverständlichkeit, mit der er diese Ungerechtigkeit hinnahm, weist auf frühe Erfahrungen vor allem mit der Mutter hin. Er hat als Kind bereits gelernt, dass sich der „Mann“ zurücknehmen muss. Nicht viel anders ein 30-jähriger, dem die Mutter wohlmeinend auferlegt hatte, dass er sich „nach jedem Geschlechtsverkehr bei der Frau bedanken“ solle.
So ist nachvollziehbar, dass männliches Selbstbewusstsein durch die zeitgenössische Kultur Schaden nimmt. Es zeigt sich darin, dass junge Männer wieder länger bei den Eltern leben und den Gang in die Selbständigkeit wie in feste sexuell-libidinöse Beziehungen hinauszögern, nicht zu vergessen die hohe Zahl an Selbsttötungen von Männern und Jungen. Vor allem auch, dass sie sich vom Wunsch nach Kindern zurückziehen.
Es geht also nicht nur darum, ob wahr ist, was den Männern vorgehalten wird, sondern dass sie es auf einer völlig anderen Ebene ihres Selbstbewusstseins in Frage stellen. Nämlich als Zweifel daran, dass sie Frauen verstehen und „gut genug“ für sie sind.
Patriarchatsphantasien und zerstörerische Genderideologie sind nicht die einzigen Anlässe, warum Männer schweigen. Besonders ragt dabei die Auseinandersetzung über Gewalt in Partnerschaften heraus, „wonach allein Männer“ (Miss)Handelnde sind. Das widerspricht nicht nur den Alltagserfahrungen von Männern, sondern auch dem, was Frauen über eigene Handgreiflichkeiten in Befragungen selbst berichten – nämlich gleiche Häufigkeit von Gewalttätigkeit wie Männer.

Warum schweigen Mütter zur Abwertung ihrer Söhne
Die Frage, warum auch Frauen in ihrer Mehrheit zur Entwertung von „den Männern“ schweigen, soll kurz skizziert werden. Es zeigt sich, dass die Entwertung des einen Geschlechts die Entwertung des anderen nach sich zieht, unabhängig davon, wer damit beginnt. Denn pauschale Äußerungen wie „alle Männer sind potenzielle Gewalttäter“ oder „unfähig zur Empathie“2 entwertet nicht nur ihre Partner, Ehemänner und Söhne, sondern ebenso ihre Väter, Großväter und Urgroßväter. Männlichkeit gilt vielen Männlichkeitskritikern als »Inkarnation« solcher Übel wie: Gefühlsabwehr, Rape Culture, Naturzerstörung, Empathiemangel, Kapitalismus etc. Frauen, so die Konsequenz, seien eben Opfer der Männerwelt. Dahinter verbirgt sich die politische Strategie, dass Frauen die gesinnungsmäßige Mitgliedschaft im Club der Opfer lohnender als das ehrende Gedenken ihrer männlichen Vorfahren erleben sollen. Das ist nicht nur ein Kulturbruch, sondern es entwertet auch die eigenen Mütter, weil sie dem „männlichen Treiben“ nicht Einhalt geboten haben. Das trägt – letztlich – zu einer Kombination von weiblicher Selbstverherrlichung (Die Zukunft ist weiblich!)3 und Selbstmitleid bei, wie wir das rituell am internationalen Frauentag erleben. Vor diesem Hintergrund gewinnt die Aussage der Deutschen Bundesinnenministerin, Nancy Faeser, von 2023 an Bedeutung.4 Sie hat tödlich endende Auseinandersetzungen in Partnerschaften in den Status von Femizid erhoben, eben einer systematischen Tötung von Frauen, weil sie „umgebracht (werden), weil sie Frauen sind“ und „weil Männer Macht über sie ausüben wollen“.5 Es
2 Siehe: Carol Gilligan, Naomi Snider: Why does Patriarchy Persist? 2018
3 Margarete Mitscherlich: Die Zukunft ist weiblich, 1997
4 Nancy Fraeser: https://www.bild.de/politik/inland/politik-inland/ministerin-faeser-frauen-werden- umgebracht-weil-sie-frauen-sind-80165048.bild.html
5 Fraeser, a.a.O., 2023

zählt nicht mehr die tödlich eskalierende Psychodynamik streitender Partner und ebenso wenig das Urteil von Strafrichtern, die über die Schwere der Tat befinden, informiert durch Expertisen und Forschung von psychologischen Gutachtern. Vielmehr wird der individuelle Gewaltverlauf einer gesellschaftlichen Vernichtungsstrategie zugeordnet, so als gäbe es solche Strategien, vergleichbar dem Genozid an Juden, Homosexuellen oder Armeniern. Die Gleichsetzung von Frauenmord und Genozid verfolgt den parteipolitischen Zweck, Angst und Feindseligkeit zwischen Männern und Frauen wie den Generationen zu schüren. (Es erinnert fast schon an die Angstatmosphäre der 50er Jahre, als im „Kalten Krieg“ zwischen dem Westen und der Sowjetunion Angstzustände das Alltagsleben prägten, weil befürchtet wurde, dass Drohszenarien in einen „heißen“ Krieg übergehen könnten.)
„Ich habe Dich, mein Sohn. Ich brauche keinen anderen“
Auf der Suche nach Beweggründen, die das Schweigen der Söhne zur allgegenwärtigen Entwertungskultur erhellen könnten, soll der Gedanke der besonderen Beziehung zur Mutter vertieft werden.6 Deren Besonderheit ist die große Wertschätzung des Sohnes. So wird auch in unserer Kultur die Geburt eines Sohnes, wenn auch mit Zurückhaltung, noch immer mit größerer Freude aufgenommen als die eines Mädchens. Die Beziehung zu Söhnen ist nicht nur intensiver, sondern anders als die zu Töchtern. Mit ihr geht einher, dass Mütter Erwartungen an ihren kleinen Sohn herantragen, die sie nicht an ihre Tochter richten. Worin kommen diese mütterlichen Erwartungen zum Ausdruck? Wie meine
6 Amendt: Wie Mutter Ihre Söhne sehen, Fischer Verlag 1994

ForschungScheidungsväter,7 Wie Mütter ihre Söhne sehen8 und Vatersehnsucht9 wie familientherapeutische Fallstudien aus den 90er Jahren10 zeigen, lässt sich eine nicht unwesentliche Facette solcher Mutter-Sohn-Beziehungen folgendermaßen skizzieren: Sie möchten, dass ihr Sohn unter ihrer Sorge und Liebe zu jener Männlichkeit heranwächst, die ihren Wünschen und unerfüllt gebliebenen Fantasien von guter begehrenswerter Männlichkeit so nahe wie möglich kommt. Diese Wünsche werden den idealisierenden Erwartungen ähneln, die sie auf den Vater ihres Sohnes in der Phase der ersten Verliebtheit gesetzt haben. Wenn diese Erwartungen jedoch weder vom Ehemann – noch von anderen Männern im Laufe ihres Lebens – erfüllt wurden, so versuchen viele Mütter, ihren Sohn so zu erziehen, dass zumindest er dem nahekommt, was ihren Vorstellungen von einem guten Mann entspricht. Das ist – verkürzt dargestellt – die brisante Grundlage vieler Mutter-Sohn- Beziehungen. Wesentliche Voraussetzung ist allerdings, dass sie zum Trost über Enttäuschungen den Sohn als „Tröster“ wählen und die Auseinandersetzung mit dem Vater des Sohnes vermeiden. Damit wird später vieles im Verhalten des Mannes verstehbar. Eben nicht nur das Schweigen zur alltäglichen Abwertung, die auf Schamgefühle und Selbstzweifel und in schweren Fällen von Gewalttätigkeit auf frühkindliche Erlebnisse hinweisen. Wenn wir Gewalt von Männern verstehen und nicht nur verurteilen wollen, dann müssen wir uns überlegen, welche Erfahrungen solche Männer in ihrer Kindheit gemacht haben könnten. Vernachlässigt werden soll an dieser Stelle, dass viele Männer mit schweren Gewaltdurchbrüchen in Folge von Kriegserlebnissen, Verletzungen bis hin zu Traumatisierungen, lebenslanger Verkrüppelung
7Siehe Amendt: “I didn’t divorce my kids!” How Fathers Deal with Family Break-Ups, Campus Verlag, Frankfurt 2008
8 Amendt: a.a.O., 1994
9 Amendt: Vatersehnsucht, Universitätsdruck Bremen 1999
10 Horst Eberhard Richter: Die Gruppe (1972) 1995

oder Hirnschäden extreme Gewaltdurchbrüche durchlaufen.11 Das zeigt die Forschung der USA unter männlichen wie weiblichen Soldaten im Irakkrieg etc.
Mutterhörigkeit – ein Leben lang
Diejenigen Jungen, die während ihrer Kindheit „verlässliche Tröster“ der Mutter waren, deren Wünsche äußerst einfühlsam erahnten und sie zu erfüllen versuchten, werden es als erwachsene Männer schwer haben, ihre Liebesbeziehungen spontan zu gestalten, denn die Mutter wirkt wie ein eingebauter Kompass, der ihnen die Orientierung vorgibt, was Frauen von einem „guten Mann“ erwarten. Nicht wenige Männer stecken zum Guten wie zum Schlechten zeitlebens in der Zwangsjacke der Mutterhörigkeit. Sie sind Muttersöhne, die innerlich an die Mutter gebunden sind. Das macht es schwer, eigene Wünsche als Mann zu verfolgen und vor allem auch die individuellen Wünsche von Ehefrau oder Partnerin sowohl zu erkennen als auch anzuerkennen. Denn der Sohn will dem Bild von einem guten Mann entsprechen und obendrein ein besserer Mann als sein Vater werden. Das legt dem Sohn Fesseln an. Seine Spontaneität wird leiden. Und solange die Söhne klein sind, werden sie sich dagegen nicht wehren können. Vielmehr sind sie glücklich, wenn sie in die zu großen Schuhe steigen können, in die aber nur die Füße des Vaters passen. Sie spüren, dass sie ihre Mütter glücklich machen können. Aber, und das ist ihr Glück, nur bis zu einem gewissen Grad. Das ist für sie frustrierend und eine Quelle von Ärger und Aggressivität gegen die Mutter, die sie im Kindesalter nicht zulassen können. Was sie nicht zeigen dürfen, verwandelt sich Schritt für Schritt in ihnen zu dem zwanghaften
11 Susanne W. Gibbons, Edward J. Hickling, Scott D. Barnett, Pamela L. Herbig-Wall, and Dorraine D. Watts: Gender Differences in Response to Deployment Among Health Care Providers in Afghanistan and Iraq. Journal of Women`s Health 2012, May 21 (5)

Pflichtgefühl, das zu erfüllen zu einem Charakterzug ihrer Persönlichkeit wird. Aber je älter die Söhne werden, umso mehr ahnen sie, dass damit auch ihre kindliche Unbefangenheit verloren gegangen ist. In den Stolz, so gut wie der Vater zu sein, mischen sich Gefühle des Unwirschen und des Ärgers. Und wenn sie älter werden und Beziehungen eingehen, sind sie unbewusst von der falschen Gewissheit getragen, dass ihnen niemand und schon gar nicht Frauen sagen sollen, wie man Frauen „gut behandelt“. Das ist das Tragische, weil damit die Kindheitserfahrungen mit der Mutter mehr oder weniger blind den unterdrückten Zorn der Kindheit wieder beleben. Dies bildet die zwanghafte Grundlage des besserwisserischen Kontrollverhaltens der Söhne. Und so trifft es die Töchter der nachfolgenden Generation.
Diese Konstellation kann Männer mit einer Geschichte der kindlichen Unterwerfung unter die Wunschwelt der Mutter trotzdem zum verstehenden Liebhaber machen, der allerdings einen Nachteil hat. Seine Vorstellungen, von dem, was eine Frau braucht und „zu wollen hat“, ist seinen Erfahrungen mit der Mutter nachgebildet und in extremen Fällen deren Abziehbild. Je größer die Anlehnung an das Mutterbild, umso wahrscheinlicher ist es, dass er zum „wohlmeinenden Kontrolleur“ in der Beziehung wird. Die Partnerin macht dann die Erfahrung, dass ihre eigenen Wünsche unbeachtet bleiben. Das ist ein hochgradiges Risiko in partnerschaftlichen Konflikten. Es erhöht für Frauen wie für Männer die Wahrscheinlichkeit, dass Auseinandersetzungen eine handgreifliche Wende nehmen. Die Unfähigkeit zur Empathie, die dieser Tage Männern so gerne nachgesagt wird, für die es allerdings keine wissenschaftlichen Beweise gibt, ist in den Fällen, in denen der Vorwurf zutrifft, nicht ohne die

Problematik einer kontrollierenden Mutter und eines untätigen Vaters zu verstehen.12
Jenseits von Täter- und Opferkult: Gemeinsamkeit als Stärke
Der Versuch der Bundesinnenministerin 2023 tödlich endende Beziehungen als Femizid an Frauen auszurufen, ist der Höhepunkt einer Politik, die Männer und Frauen polarisieren will. Versucht wird, das Zusammenleben von Männern und Frauen in eine Kulisse permanenter Bedrohung mit Angstzuständen von Frauen anlässlich steter Gewaltbereitschaft von Männern zu verwandeln.
Würde Volker Pilgrims Schrift über Muttersöhne in der heutigen politischen Atmosphäre erstmals veröffentlicht, so würde das mit Gewissheit misslingen. Sein Sakrileg war nämlich nicht nur, dass er Männer als Geschöpfe einer muttergemachten Übergriffigkeit präsentierte. Was zur Unterdrückung von Pilgrims These heute führen würde, ist seine Aussage, dass Frauen nicht nur über Macht in der Partnerschaft und über die Kinder, sondern dadurch ebenso in der Gesellschaft verfügen und dass sie ihr Leben nicht als eine Mühsal erleben, sondern, wie neueste Forschung zeigt, damit zufrieden sind. Wenn sie „Stalin, Hitler und Napoleon und Richard Wagner“ zu dem machen können, was sie waren, so Pilgrims These, dann seien sie ohne weiteres in der Lage, ebenso den alltäglichen Mann zu modellieren. Und das ist zutreffend. Pilgrims Kühnheit war in den 80iger Jahren noch möglich – nicht zuletzt deshalb, weil Frauen noch mutig waren, seine Thesen sich anzuhören und über das Mutter-Sohn-Verhältnis nachzudenken. Sie setzten sich ungewohnten Aspekten des weiblichen Machtgebarens aus, das ihnen Handlungsmacht
12 Nicola Graham-Kevan: Die Rolle von Macht und Kontrolle in aggressiven Beziehungen. In: John Hamel, Tonia Nicholls (Hrsg.): Familiäre Gewalt im Fokus. Fakten-Behandlungsmodelle-Prävention, Ikaru Verlag 2013, 129ff.

bestätigte,13 eben die Fähigkeit Söhne (und Töchter) zu kontrollieren, und ihnen die Augen für prekäre Auswirkungen auf Söhne wie Gesellschaft öffnete. Sich als „allseitige Opfer mit stetem Betreuungsbedarf“ zu sehen, war ihnen fremd. Diese Offenheit fehlt zeitgenössischen Genderaktivisten weitgehend. Sie rufen nach dem Staat, der für sie Probleme lösen, Täter identifizieren und Sprachregelungen der Diskriminierung wie „Femizid“14 schafft, damit Genderaktivisten Frauen in das ungeschriebene Recht einführen können, Opferstatus, Mitleid und Verächtlichmachung der Männer zu beanspruchen. Folglich werden Forschungsergebnisse unterdrückt – vor allem durch das Bundesfamilienministerium15 -, die geeignet sind, die verzerrte Sicht durch Fakten zu ersetzen.
Aber die Fantasie einer in Opfer und Täter gespaltenen Welt inszenieren nicht nur Feministen und Genderideologen. Es ist ein Projekt, das mittlerweile die ganze Gesellschaft durchzieht. Das Motto ist, den „Opfern helfen“, aber nicht den „Tätern“. Anstatt den Dialog zu unterstützen, mit dem Beziehungs- oder Ehepartner ihre Konflikte zu lösen versuchen, treten immer mehr Angebote von halbstaatlich geförderten Organisationen, die zumeist außerhalb professioneller Standards sich bewegen und nur an Frauen sich wenden. Sowohl das Opfer-Täterdenken oder, was noch folgenreicher ist, die Wahrnehmung der Geschlechterbeziehungen als eine unversöhnliche Freund-Feind-Polarität schafft eine Perspektive, in der die Schlichtung von Konflikten und Versöhnung tendenziell nicht mehr als erstrebenswert gelten.
So bleibt die gesellschaftspolitisch entscheidende Frage weiterhin im Dunkeln, wie Handgreiflichkeiten zwischen Beziehungspartnern
14 Faeser, a.a.O.
15 Siehe: Robert Koch Institut hat die Gewaltforschung eingestellt, da das Familienministerium (BMFSFJ), von dem es finanziert wird, gegen dessen Forschungsergebnisse Einwände hatte. Das Bundesfamilienministerium hat eine lange Geschichte der Forschungsbehinderung. Vgl.: Petra Studie: Gemeinsam getrennt erziehen, 2021,
13 Siehe Rose Medeiros und Murray Straus: Risikofaktoren körperlicher Gewalt in Kurzzeitbeziehungen. Implikationen für geschlechtsspezifische Prävention und Therapie von gewalttätigen Familien. In: Hamel, Nicholls, a.a.O. S.99ff

entstehen. Sowohl in den öffentlich-rechtlichen Medien, pädagogischen Großinstitutionen, der evangelischen Kirche und linken Parteien scheint das Bild von der verfeindeten Polarität sich durchgesetzt zu haben. Dabei wird übersehen, dass all die Frauen und Männer, die wissen möchten, was sie hätten „anders machen“ können, damit Gewalt hätte vermieden werden können, im Regen stehen bleiben. Denn professionelle Hilfe wird ihnen vorenthalten. Zumeist wird ihnen nur Schuldverschiebung auf den männlichen Partner angeboten. Und das hohe Lied der „friedfertigen Frau“ als Trost angeboten. Andererseits wissen Frauen über ihre eigene Gewalttätigkeit Bescheid. Die Forschung belegt es obendrein mit Fakten seit Jahrzehnten. Das trifft auch auf Fälle mit schwerem bis tödlichem Verlauf zu. Ohne Hilfe von Psychotherapeuten können sie sich nicht aus ihrer zerstörerischen Psychopathologie befreien. Das Etikett des schuldigen Täters und unschuldigen Opfers bringt beide nicht weiter. Es beschädigt Frauen wie Männer gleichermaßen.
Solange Politikerinnen versuchen, „Männern Femizid in genozidaler Absicht“ zu unterstellen, eben systematisches Töten von Frauen nach vorgefassten Plänen, solange ist Gewaltepisoden nicht beizukommen und –die Weitergabe von Gewalt an Kinder der nächsten Generation nicht zu verhindern.
Ermutigend allein ist die gegenläufige Tendenz, wonach der größte Teil der Bevölkerung das paranoide Modell „alleiniger männlicher Gewalttätigkeit“ nicht teilt, wie viele andere Vorurteile über Männer, die von den Medien zur alltäglichen Erregung der Bevölkerung und der Steigerung von Verkaufszahlen verbreitet werden.
Das heraufdämmernde Nachdenken über die Beziehung von Müttern zu ihren Söhnen ist nicht nur vielversprechend, sondern folgenreich, weil damit der erste von vielen Schritten getan wird, um den Täter-Opfer-Kult zu überwinden. Die Tradition des versöhnenden Gesprächs gewinnt damit

wieder eine Zukunft. So müssen auch Väter als passiv Beteiligte bedenken, dass sie es Müttern durchgehen lassen, wenn sie in ein „heimliches Separee“ mit den Söhnen abdriften. Eben dadurch, dass sie sich partnerschaftlichen Konflikten und Wünschen entziehen. Dieses konfliktscheue Gewährenlassen begünstigt das Abdriften des Sohnes – schlimmstenfalls – in die willfährige Botmäßigkeit zur Mutter.
Wer diesen aufklärerischen Diskurs verweigert und Frauen nur als hilflose Opfer portraitiert und sich in Mitleid mit ihnen ergeht, ist in Wirklichkeit ihr größter Feind, denn er traut Frauen nichts zu und wird nicht müde, ihnen Handlungs- und Geschichtsfähigkeit abzusprechen. Das ist das zentrale Problem von Feministen und Genderideologen, deren persönliche Opferverliebtheit darin zum Ausdruck kommt.
Nicht ohne Genuss hielt Volker Pilgrim Frauen vor, dass sie mit ihrem Wunsch nach Rache an „unzufriedenstellenden Männern“ die Monster eigenhändig hervorbringen, die sie drangsalieren und die auch den Töchtern das Leben schwer machen.
So holzschnittartig Pilgrims These auch ist, so hat er doch Männern wie Frauen vor Augen geführt, dass beide Macht ausüben und dass auch gute Machtausübung, möglich ist: auch bei der gemeinsamen Erziehung von Kindern.
Für die Debatte über Gewalt, Scham und Stolz muss die Gesellschaft wieder auf die Gewissheit zurückgreifen, dass Männer und Frauen nicht nur die Schmiede ihres eigenen Glücks, sondern ebenso ihres eigenen Unglücks sind. Fürs Glück zweifelt das niemand an, fürs Unglück schon eher. Diese traditionsreiche Gewissheit kann den Beginn einer Zeitenwende im Dialog über Geschlechterbeziehungen einleiten. Das Horrorszenario vom Femizid ist lediglich die neue Waffe, die diese Wende verhindern soll.

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Dr. Gerhard Amendt
Univ. Prof. em. für Geschlechter und Generationenforschung an der Universität Bremen und ehemaliger Direktor des gleichnamigen Instituts. Autor zahlreicher Bücher und Aufsätze wie Das Leben unerwünschter Kinder, Herausgeber der deutschen Ausgabe des Handbuchs Familiäre Gewalt im Fokus, Von Höllenhunden und Himmelswesen, Die Macht der Frauenärzte, Scheidungsväter etc. Filmemacher und Publizist sowie ehemaliger Leiter der Pro Familia Bremen für Familienplanung und Schwangerschaftsabbruch und Berater internationaler Organisationen in Fragen der Familienplanung.